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Streit im Estergebirge

Jäger gegen Wanderer

An einem Nebengipfel im Estergebirge entzünden sich die Gemüter. Früher fanden nur wenige Wanderer den versteckten Pfad hinauf zum schlichten Holzkreuz und genossen die stille Aussicht ins Werdenfelser Land. Doch der Revierinhaber stört sich an der steigenden Zahl von Naturkonsumenten und Touristen. Schuld seien Berichte im Internet, in denen zu viel Werbung gemacht werde.
Stand:

Tourenberichte sind keine touristische Werbung

Auf diesem Gipfel sind Wanderer unerwünscht, denn der Weg führt mitten durch ein Jagdgebiet.

Bei dem betroffenen Eigenjagdrevier im so genannten Wasserstein handelt es sich nicht um ein Naturschutz­gebiet. Es existiert weder ein Betretungsverbot noch ein Wegegebot. Auch waren die Steige zeitweise in den offiziellen Karten der Bayerischen Vermessungs­verwaltung verzeichnet, bis eine Löschung durchgesetzt wurde. Im DAV-Bergmagazin alpinwelt 2/2011 gab es einen Touren­tipp und mir sind mindestens zwei relativ aktuelle Buch­erscheinungen bekannt, in denen einer der umstrittenen Steige ebenfalls beschrieben wird. Der DAV veranstaltet sogar hin und wieder Gruppenführungen, wobei es laut Eigentümer und Jäger eine Absprache gäbe, in Zukunft davon abzusehen.
Auf Tausende von Alpengipfeln führen keine markierten Wege. Es hat eine lange Tradition unter Bergsteigern, dazu Routenbeschreibungen zu erstellen und diese zu veröffentlichen. So finden auch die nicht Ortskundigen hinauf oder werden abgehalten, weil sie erkennen, dass sie der Tour nicht gewachsen sind. Diese Informationen sind nicht primär als touristische Werbung gedacht, wie das vom Revierinhaber verstanden wird. Seit einigen Jahren geschieht die Weitergabe von Tourinformationen verstärkt über das Internet. Es ist nicht zu leugnen, dass dadurch bestimmte Geheimtipps bekannter werden. In manchen Jagdgebieten muss man seit Jahrzehnten mit Freizeitaktivitäten leben. Für andere ist es eine neue Entwicklung, wenn bisher private Jagdsteige plötzlich von Wanderern entdeckt werden.

Wildverbiss durch gestresste Gämsen

Gämsen im Estergebirge.

Der Hauptargumentationsstrang des Eigentümers ist der Umweltschutz. Wanderer betrachtet er abgesehen von einigen wenigen Vernünftigen per se als Naturzerstörer. Sie würden die Gämsen umherscheuchen, wodurch diese vor lauter Stress den Bergwald kurz und klein fräßen.
Niemand wird bezweifeln, dass der Wildverbiss ein großes Problem darstellt. Gerade die Verjüngung der Weißtanne ist im Gebirge stark gefährdet. Und Gämsen, die mehr umherspringen, benötigen selbstverständlich mehr Energie, was den Wildverbiss verstärkt. Wildtiere sind jedoch nicht wegen der Wanderer, sondern wegen der Bejagung scheu. Die Steinböcke an der Benediktenwand etwa werden nicht gejagt. Sie sind daher gar nicht scheu und nehmen nicht einmal Reißaus, wenn man ganz dicht an ihnen vorbeigeht. Die meisten Wanderer freuen sich, wenn sie Wildtiere sehen und verhalten sich in der Regel still, um sie in Ruhe beobachten zu können. Beunruhigend für die Gämsen ist vor allem, wenn Menschen zu ungewohnter Tageszeit oder an ungewohnter Stelle auftauchen. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass sich eine Gams lieber von einem Wanderer erschrecken, als von einem Jäger abschießen lässt? Der Unterschied ist für die Tiere natürlich nicht zu erkennen, da sie nicht wissen, wer ein Gewehr dabei hat. Das führt zu Dauerstress. Der Jäger bat mich, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass er zur Jagd verpflichtet sei und die Unterschreitung der Abschusszahlen sogar mit Bußgeldern geahndet werde. Mehr Ruhe für die Gämsen könne einzig durch weniger Wanderer erreicht werden, da an der Jagd nicht zu rütteln sei. Gejagt wird aber fast überall. Wieso in diesem Gebiet nicht wie andernorts ein friedliches Nebeneinander von Freizeitnutzung und Jagd möglich sein soll, entzieht sich meinem Verständnis.

Jagdsteige werden zu Wanderwegen

Im betroffenen Jagdrevier möchte man den Wildbestand lieber hegen als dezimieren. Das Landratsamt drängt dagegen auf höhere Abschusszahlen. Es soll ein gesunder Mischwald entstehen, was auch im Sinne aller Wanderer wäre. Landratsamt und Besitzer haben aber unterschiedliche Vorstellung über das Vorgehen. Nach Angaben des Besitzers erschwere die touristische Nutzung höhere Abschusszahlen. Man hätte den Wald seit Generationen liebevoll gepflegt und ohne Probleme auf den selbst unterhaltenen Steigen gejagt. Erst seit sich diese in jüngster Zeit als Wanderwege etabliert hätten, gäbe es Schwierigkeiten. Nun müsse ein neuer Steig angelegt werden, weil die Gämsen die alten meiden würden. Das schwer zugängliche Gelände ist für das Jagdpersonal eine echte Herausforderung. Gute und sichere Steige sind eine Grundvoraussetzung. Dabei besteht die Sorge, dass jeder neue Steig nach kurzer Zeit ebenfalls als Tourentipp im Internet kursieren könnte. Wenn so immer wieder ausgewichen werden müsse, weil Touristen jeder Spur nachliefen, entstünde ein dichtes Netz aus Trampelpfaden. Das möchte sicher niemand haben!
Die meisten Jagdsteige sind meiner Erfahrung nach zum Wandern eher uninteressant. Sackgassen sprechen sich schnell herum und werden gemieden. Dass sich jeder neue Pirschpfad automatisch in einen Wanderweg verwandelt, kann ich nicht nachvollziehen. Im diskutierten Fall ergibt sich der Konflikt dadurch, dass einer der Jagdsteige zum Erreichen eines attraktiven Gipfelziels nötig ist und ein weiterer eine Direktverbindung ins zentrale Estergebirge darstellt. Ich halte es nicht für wünschenswert und obendrein illusorisch, Wanderer da komplett auszuschließen.

Keine Kompromissbereitschaft von Seiten der Jagdlobby

Ich habe durchaus Verständnis für die Situation des Jägers. Gerne hätte ich einen Kompromiss gefunden. Mein Vorschlag, die Wanderströme auf bestimmte Jahreszeiten, Tageszeiten oder Wochentage zu kanalisieren und dies im Internet zu kommunizieren, fand kein Gehör. Ich hätte dafür sogar andere Blogger gewinnen können. Der Eigentümer zeigte sich allerdings in dieser Hinsicht nicht kompromissbereit. Entweder sei Jagdsaison oder es sei Schonzeit. Eine Zeit für Touristen ist da nicht vorgesehen. Wie aufgeheizt das Thema ist, zeigt sich an der Drohung, die Wege zu zerstören, falls die Wanderer nicht verschwänden. Ob das erlaubt ist, scheint zumindest fraglich. Nachforschungen im Forstamt ergaben, dass hier das Gewohnheitsrecht unter bestimmten Voraussetzungen Vorrang haben könnte. Wie dem auch sei, offenbar sollen weite Bereiche des 900 Hektar großen Areals mit allen Mitteln unzugänglich und geheim gehalten werden. Es steht dann nur noch ein paar Eingeweihten offen.
In diesem Punkt klaffen die Ansichten am weitesten auseinander. Das Bekanntwerden von versteckten, scheinbar unberührten Ecken lässt sich im digitalen Zeitalter nicht auf Dauer verhindern. Ein naturverträgliches Verhalten kann am ehesten durch eine entsprechend sensible Tourbeschreibung gefördert werden. Das ist besser, als wenn Leute dort allein auf Basis von OpenStreetMap und GPS-Gerät umherlaufen.
Auch anderen Bloggern, die sich mit weglosen oder unmarkierten Touren beschäftigen, ist die Problematik bewusst. Frank Steiner etwa möchte lieber aufklären, als sich einer Selbstzensur zu unterwerfen. Der Alpenverein setzt auf freiwilligen Verzicht durch Information und nimmt bewusst in Kauf, dass Einzelne sich anders entscheiden. Von strikten Betretungsverboten ist man wenig begeistert, schon der Mitglieder wegen. Im Zweifelsfall wird empfohlen, empfindliche Bereiche bei den eigenen Tourentipps auszuklammern.

Ergänzende Stellungnahme des Revierinhabers

Zunächst möchte ich meine Anerkennung dafür ausdrücken, dass Sie sich unserer langen und leidenschaftlichen Diskussion gestellt haben, um sich auch mit dem Gegenstand sachlich auseinanderzusetzen.

Das Problem der Alpen ist sicher nicht, dass sie zu wenig erschlossen wären. Die Bereiche, die von den Touristenströmen noch verschont sind, so dass noch gesunde Biotope und einsame idyllische Plätze vorzufinden wären, sind selten und bedroht. Der staatlich geförderte Wegebau geht auch stetig weiter, so dass eine Vielzahl Menschen näher an die verbliebenen Kernbereiche geführt wird.
Immer mehr Menschen verlassen die Wege, erkunden Wildwechsel und Jägersteige und dringen damit in Bereiche vor, die bislang noch unbelastet waren. Die so entdeckten idyllischen Plätze sind schon durch Mundpropaganda bedroht genug, aber die Veröffentlichung im Internet als Geheimtipp öffnet alle Schleusen. Wenn eine Tourempfehlung im Internet steht, hat es niemand mehr unter Kontrolle, ob sie da unbeachtet vor sich hindümpelt, oder entdeckt wird und sich im Schneeballsystem verbreitet. Das Internet unterscheidet auch nicht nach sensiblen und rücksichtslosen Touristen. Alles was die Bekanntheit erhöht, zieht beide Extreme gleichermaßen an.

Wenn sich Wanderer auf eingeführten Wanderwegen bewegen, an die sich das Wild über lange Zeit gewöhnt hat, dann sehen sie nicht selten Wild und gewinnen den Eindruck, dass Freizeitnutzung mit Wild und Natur gut harmonieren. Sie nennen es friedliches Nebeneinander. Auf solchen Wegen ist das auch so und es spielt keine Rolle, ob da 100 oder 200 Wanderer pro Tag laufen. Anders ist es, wenn Menschen in Bereiche vordringen, wo sich das Wild zurückzieht, wenn es Ruhe sucht und bislang Ruhe hatte. Dann wird es aufgeschreckt und der Einstand wird entwertet. Ohne sichere und ruhige Einstände befindet sich das Wild im permanenten Fluchtmodus unter Adrenalin und verbraucht ein Vielfaches an Energie. Höherer Verbiss an Bäumen ist dann unvermeidlich, mit der Folge, dass die staatlichen Behörden noch höhere Abschüsse erzwingen, was noch mehr Stress bedeutet. Der Vergleich mit den Steinböcken an der Benediktenwand hinkt also, weil diese gar nicht bejagt und auch nicht bis in ihre Einstände verfolgt werden.

Der Steig um den es ging, führt in die Herzkammer der Einstände in meinem Revier, auch an Salzlecken vorbei. Hier sucht das Wild Ruhe und fand sie lange Zeit auch. Da ist jeder Mensch zu viel, auch wenn er sich ruhig verhält. Es reicht, wenn er seinen Geruch verströmt. Der Jäger ist gezwungen, dorthin zu gehen, um seine vorgegebene Pflicht zu erfüllen. Wenn dort auch noch Touristen die Pfade erkunden, ist der Einstand entwertet. Wenn das Wild neue Einstände gefunden hat, geht dasselbe Spiel von vorn los, bis es keine Einstände mehr gibt, dafür aber umso mehr Wildschaden. Der gesunde natürliche Mischwald, wie er allseits gewünscht wird, ist in meinem Wald längst vorhanden und regeneriert sich gut, solange das Wild noch Ruhe hat.

Die von Ihnen erhoffte Selbstregulierung, weil sich Sackgassen herumsprechen sollen, kann nicht funktionieren. Wenn erst einmal so viele Touristen in dem Gebiet unterwegs sind, dass sie sich schon darüber austauschen, ob der Pfad an der dritten Tanne links eine Sackgasse ist, dann ist das Areal längst ökologisch tot. Man kann auch Steige und Pfade in den Kern der Einstände nicht zeitweise freigeben. Es handelt sich dabei auch nur um einen ganz engen Bereich und kleinen Bruchteil des Reviers. Wenn aber dort Jagdsteige und Pfade zu oft missbraucht und dadurch Einstände entwertet werden, kann man sie nur noch aufgeben und renaturieren.