Bergsturz und Felssturz in den Bayerischen Alpen
Ursachen, Auslöser, Ereignisse
Bergstürze sind gar nicht so ungewöhnlich und selten, wie man angesichts ihrer Ausmaße vielleicht erwarten würde. Alpenweit gibt es rein statistisch betrachtet alle fünf Jahre einen. In den Bayerischen Alpen lassen sich bis zu 20 spät- und postglaziale Bergstürze aus den letzten 20 000 Jahre im Gelände nachweisen, der jüngste geschah im Reintal um 1800. Wegen ihrer enormen Zerstörungskraft sind sie gefürchtet, doch sie hinterlassen auch ganz spezielle, oftmals romantisch und urtümlich wirkende Landschaften.
Stand:
Bergsturz versus Felssturz

Wir alle kennen das alltägliche Erosionsereignis des Steinschlags, wenn einzelne faust- bis kopfgroße Stücke herabfallen. An den meisten Wänden poltert es fast unablässig, ablesbar an den Geröllfeldern zu ihren Füßen.
Brechen größere, tonnenschwere Brocken oder ganze Wandteile heraus, spricht man von einem Felssturz. Auch wenn es äußerst unwahrscheinlich ist, einen Felssturz live zu erleben, so bilden diese in den Bergen doch eine permanente Bedrohung und treten durchaus häufig auf.Immer wieder werden Gebäude oder Straßen zerstört, mitunter auch Menschen verletzt oder getötet.Die Hinterlassenschaften der Felsstürze sind im Gebirge vielerorts unübersehbar. Ein schönes Beispiel, um sich die Ausmaße zu verdeutlichen, ist der Große Friedhof am Zettenkaiser im Wilden Kaiser. In dem imposanten Karkessel wachsen keine Bäume, so dass sich der Bereich gut überblicken lässt. Vermutlich stammen die zahlreichen Sturzblöcke von mehreren Ereignissen.

Bergstürze kommen im Gegensatz zu Felsstürzen sehr viel seltener vor. In den Bayerischen Alpen datieren sie bis auf wenig Ausnahmen in prähistorische Zeit. Vom Felssturz unterscheidet sich der Bergsturz im Volumen. Laut einer allgemein anerkannten Definition muss dieses mindestens eine Million Kubikmeter betragen und außerdem mit hoher Geschwindigkeit innerhalb weniger Sekunden oder maximal Minuten niedergehen. Bergstürze besitzen also eine ganz andere Masse und Dynamik als Felsstürze. Verglichen mit Großrutschungen ähnlichen Volumens laufen sie wesentlich schneller ab.Auf Grund ihrer enormen Energie reichen Bergstürze kilometerweit und können ganze Quadratkilometer mit Schutt bedecken.Derart gewaltige Massenbewegungen verteilen also nicht nur ein paar pittoreske Felsbrocken, sondern gestalten ganze Landschaften grundlegend um. Trotzdem sind diese heute nicht mehr unbedingt gleich auf den ersten Blick als solche zu erkennen, denn auf den landwirtschaftlich schlecht nutzbaren Ablagerungsgebieten wachsen überwiegend Wälder.
Ursachen

Gesteinsarten
Die Bayerischen Alpen als Teil der Nördlichen Kalkalpen bestehen fast ausschließlich aus Sedimenten, wobei diese eine große Bandbreite unterschiedlicher Gesteinsarten umfassen. Nicht alle neigen zu Fels- und Bergstürzen.Auffällig häufig sind besonders widerstandsfähige massige Riffkalke wie Wettersteinkalk, Dachsteinkalk oder Oberrhätkalk beteiligt.Diese können auf Grund ihrer Festigkeit sehr viel Spannungsenergie speichern, die dann auf einen Schlag freigesetzt wird. Bei Wänden aus weichen, spröden Gesteinen brechen dagegen immer wieder eher kleinere Stücke ab, so dass es gar nicht erst zu einem Großereignis kommen kann. Berge aus Hauptdolomit beispielsweise ertrinken regelrecht in ihrem eigenen Schutt. Im Flysch oder auch im Mergel wiederum treten Massenbewegungen meist als fließende Hangrutschungen auf. Sie mögen zwar das Volumen eines echten Bergsturzes erreichen, aber ohne dessen Dynamik.
Gesteinsabfolge
Als typische Konstellation für die Entstehung von Bergstürzen gilt hart auf weich
, also harte Gesteine, die über weicheren lagern. Durch die schnellere Verwitterung der weichen Gesteine geben diese irgendwann nach und die überlagernden harten Gesteinspakete gehen zu Tal.
Klüfte und Karsthöhlen
Felsen sind im Inneren keineswegs kompakt. Von den Riffkalken einmal abgesehen bestehen die kalkalpinen Sedimentgesteine aus mehr oder weniger dicken Platten und Bänken. Das in ihre Fugen eindringende Wasser kann durch Lösungsverwitterung Karsthöhlen von teils gewaltigen Ausmaßen hervorbringen. Zudem durchziehen tektonische Klüfte die Felsen. Chemische und mechanische Verwitterungsprozesse, darunter die Frostsprengung, erweitern die Hohlräume fortlaufend. Das destabilisiert den Fels, bis schließlich Teile davon abbrechen.
Gletscher und Permafrost
Gletscher und Permafrost spielen bei der Entstehung von Fels- und Bergstürzen ebenfalls eine Rolle. Durch den derzeit ungewöhnlich raschen Rückgang trat diese Ursache verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit.Während der Würm-Kaltzeit steilten die Gletscher die Bergflanken auf und stützten sie gleichzeitig ab.Mit ihrem Abschmelzen hinterließen sie spannungsgeladene, an ihrer Basis durch Abtragung geschwächte Felswände. Im Zuge des Gletscherrückgangs nahm auch der stabilisierend wirkende Permafrost ab. Dies könnte das ein oder andere Sturzereignis im frühen Postglazial beeinflusst haben. Ein rein glaziales Phänomen, wie früher einmal angenommen, sind Bergstürze jedoch nicht, sondern ein ganz normaler Erosionsprozess, der in allen Hochgebirgen der Welt vorkommt.
Auslöser
Soweit bekannt, kündigen sich Bergstürze bereits vorher durch Bewegungen im Fels an. Finale Auslöser können unter anderem Erdbeben oder große Temperaturunterschiede durch einen Hitzesommer sein. Auch bei Starkregen oder Tauwetter steigt das Risiko. Denn wenn sich Spalten und Klüfte im Inneren mit Wasser füllen, kann das einen gewaltigen Druck nach außen erzeugen.
Eibsee-Bergsturz von der Zugspitze

Der Zugspitzgipfel samt seiner ganzen Aufbauten wird durch den Permafrost stabilisiert. Dort oben baut man nicht für die Ewigkeit. Vor 4000 Jahren brach bereits einmal ein Stück von der Zugspitze ab, wobei die Eisschmelze als Ursache nicht einwandfrei bewiesen ist. Vor dem Bergsturz war die Zugspitze vielleicht sogar ein echter Dreitausender. Seitdem klafft in Bereich der Riffelwand eine gigantische Lücke über dem Bayerischen Schneekar. Bei diesem größten Bergsturz der Bayerischen Alpen wurden mehrere Quadratkilometer mit über 150 Millionen Kubikmetern Schutt bedeckt. Die Inseln und Buchten des Eibsees1 sowie die Trümmermassen in den umliegenden Wäldern erinnern daran, wenn man zwischen Eibsee und Badersee umherwandert.
Unauffällige Hügellandschaft bei Marquartstein

Nicht immer lässt sich ein Bergsturz anhand großer Felsbrocken auf den ersten Blick als solcher identifizieren. Das Gestein kann beim Aufprall auch zu Kleinschutt zerfallen oder im Lauf der Jahrtausende verwittern. Westlich von Marquartstein2 im Chiemgau erstreckt sich eine hügelige Landschaft mit vermoorten Senken. Dabei handelt es sich mit 40 Millionen Kubikmetern um eines der größten Bergsturzgelände Bayerns. Äußerlich sieht man das der Landschaft aber kaum an.
Das Sturzmaterial stammt von der steilen Westflanke des Hochlerchs. Dieser Berg besteht aus vielen unterschiedlichen Gesteinen von der Trias bis in den Jura, überwiegend Kalke, Dolomite und Mergel. Das Gestein zerbröselte und verwitterte offenbar so weit, dass zumindest oberflächlich keine größeren Blöcke zu sehen sind.
Bergsturz am Pass Hallthurm

Der Pass Hallthurm3 liegt zwischen dem Lattengebirge und dem Untersberg auf dem Weg von Bad Reichenhall Richtung Berchtesgaden. Bis zur Säkularisation grenzte dort die Fürstpropstei Berchtesgaden an das Erzstift Salzburg. Ein Wachturm neben der Straße und Mauerreste beiderseits im Wald zeugen noch von der einstigen Grenzfeste Hallthurm. Sie steht auf 40 Millionen Kubikmetern Felsschutt, hauptsächlich Dachsteinkalk. Baumaterial war also reichlich vorhanden. Weil würmzeitliche Moränen die Ablagerung stellenweise überdecken, muss der Bergsturz noch während der letzten Kaltzeit passiert sein, geschätzt vor ungefähr 16 000 Jahren, wobei die Zahl umstritten ist. Er dürfte aber in jedem Fall der älteste Bayerns sein. Das Tal muss damals bereits eisfrei gewesen sein. Der Ausbruch erfolgte nordöstlich an der Fadererschneid am Untersberg.
Eine lokale Besonderheit am Pass bildet das Nixloch, eine leicht befahrbare Primärhöhle, die zwischen den Blöcken liegt.
Vermeintlicher Bergsturz zwischen Königssee und Obersee
Wer auf dem Königssee mit dem Schiff ganz hinter bis Salet fährt, erreicht von dort aus nach kurzem Fußmarsch den wunderbaren Obersee4. Sein Ufer wird von großen Felstrümmern gesäumt. Im glasklaren Wasser lässt sich gut erkennen, dass diese bis zum Grund hinabreichen.Deshalb wurde lange vermutet, die beiden Seen wären durch einen mittelalterlichen Bergsturz voneinander getrennt worden.Laut neueren Untersuchungen besteht der Damm aber größtenteils aus Moränenmaterial. Der Obersee existiert in dieser Form also wohl seit dem Ende der Würm-Kaltzeit.Unklar ist, ob die auf dem Moränenmaterial aufliegenden Sturzblöcke von einem oder mehreren Ereignissen stammen. Die übliche Datierung auf das Jahr 1172 erscheint jedenfalls ziemlich gewagt.
Romantischer Blockschutt im Ramsauer Zauberwald

Eindeutiger als am Königssee ist die Lage bei dem nicht weit entfernten Hintersee in der Raumsau, wo sich ein besonders reizvolles Bergsturzgelände befindet. Am Ostende des eiskalten Sees liegen in einem Wäldchen zahllose meterhohe Felsbrocken aus Dachsteinkalk verstreut. Der touristisch motivierte Name Zauberwald5 passt perfekt. Zu Recht gehört der Zauberwald zu den schönsten Geotopen Bayerns. Märchenhaft schlängelt sich der Wanderweg am Bach entlang und zwischen den bewachsenen Blöcken hindurch. Zusammen mit dem idyllischen Hintersee ein wirklich lohnendes Ausflugsziel.
Der Blockschutt, welcher dem Zauberwald sein wildromantisches Flair verleiht und den Hintersee aufstaut, kam vor etwa 3500 Jahren von der Schärtenspitze über das Blaueistal herab. Wenn man bis zur Blaueishütte aufsteigt, findet man hinter der Hütte weitere imposante Bruchstücke, die es nicht bis ins Tal schafften.
Buckliges Grünland im Boschet bei Ohlstadt

Bei Ohlstadt gibt es ein ziemlich unbekanntes landschaftliches Kleinod, das aus einem Bergsturz vom Buchrain östlich des Heimgartens hervorging. Dieses so genannte Boschet6 ist eine bucklige Flur mit Wiesen und Weiden. Durch die wertvolle Kulturlandschaft leitet ein interessanter Lehrpfad zur Boschetkapelle.Anders als die bisher beschriebenen Bergstürze besteht das Material im Boschet vor allem aus Hauptdolomit.Dieses spröde Gestein zerfällt zu Kleinschutt, so dass die Oberfläche an die Werdenfelser Buckelwiesen erinnert, auch wenn geologisch zwischen beiden Landschaftsformen kein Zusammenhang besteht.
Soiernsee im Karwendel

Bergstürze können durch ihre Stauwirkung Seen hervorbringen, so wie den oben genannten Hintersee oder die mittlerweile ausgelaufene Blaue Gumpe im Reintal.
Bei dem unteren der zwei Soiernsee7 wird ebenfalls vermutet, dass er durch den verhältnismäßig kleinen Bergsturz im Soiernkessel entstand. Den oberen See dichtet dagegen ein Moränenwall ab.
Mit etwas über einer Million Kubikmeter handelt es sich knapp nicht mehr um einen Felssturz. Der Abbruch geschah im Plattenkalk an der Gumpenkarspitze, wo eine auffällige Nische zurückblieb.
Auracher Märchenwald

Der Auracher oder Fischbachauer Märchenwald8 am Fuße des Auracher Köpferls sieht mit seinen Buckeln dem Ohlstädter Boschet ein wenig ähnlich. Zwischen den Bäumen liegen kleinere Bruchstücke verstreut.
Die Sturzmasse umgibt ein künstlich anmutender, meterhoher Wall, dessen Entstehung oder Herkunft rätselhaft bleibt. Wenn man bedenkt, was für ein enormer Aufwand es gewesen wäre, ihn in Handarbeit aus dem steinigen Material aufzuschütten, ganz zu schweigen von dem nicht erkennbaren Nutzen, spricht doch viel für eine natürliches, wenn auch ungeklärtes Phänomen im Zusammenhang mit dem Bergsturz.
Gefahr durch den Klimawandel
Im Zuge des Klimawandels könnten Fels- und Bergstürze wieder zunehmen. Die Gipfel des Hochgebirges bestehen aus einer kompakten Masse von Fels und Eis. Milde, schneearme Winter gepaart mit heißen Sommern beschleunigen nicht nur das Verschwinden der Gletscher, der Permafrost taut ebenfalls auf. Diese Veränderung ist dramatischer, wenn auch weniger offensichtlich als das Zurückweichen der Gletscher. Außerdem kommt es durch den Klimawandel gehäuft zu starken Unwettern mit extremen Regenmengen. Wie oben beschrieben übt das eindringende Wasser im Berg einen hydrostatischen Druck aus.Aktuell gibt es in Bayern allerdings kein Risiko für einen Bergsturz.Felsstürze drohen dagegen durchaus. Medial besonders präsent ist der instabile Gipfel des Hochvogels im Allgäu. Doch letztlich kann es an jeder Felswand völlig unerwartet zu einem Felssturz kommen.