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Alpine Flurnamen in Bayern und Tirol

Was unsere Bergnamen bedeuten

Viele Bergnamen in Bayern und Tirol sind rätsel­haft. Selbst diejenigen, welche ober­flächlich betrachtet aus bekannten Wörtern bestehen, bedeuteten ursprüng­lich viel­leicht etwas ganz anderes. Die Volks­etymologie kann uns da leicht an der Nase herum­führen. Und selbst wenn ein Name wörtlich zu nehmen ist, erklärt das noch nicht unbedingt seine Herkunft.
Stand:

Sprachhistorisches Gedächtnis von Flurnamen

Der Große Krottenkopf in den Allgäuer Alpen bewahrt im Namen ein altes Felswort.

Flurnamen bergen einen gewaltigen sprach­historischen Schatz. Sie verändern sich über die Jahrhunderte kaum, während die aktive Sprache einem steten Wandel unter­worfen ist. Dadurch sind in den Flurnamen viele Wörter enthalten, die aus dem Sprach­gebrauch verschwanden und deren Bedeutung in Vergessenheit geriet.
Die Krutt oder Grutt beispielsweise ist so ein Wort. Es beschreibt steiniges, felsiges Gelände. In alpinen Flur­namen wie dem Krotten­kopf im Estergebirge, dem Großen Krotten­kopf im Allgäu oder dem Krotten­tal im Spitzing­gebiet ist es mehr­fach bezeugt. Verwendet wird es schon lange nicht mehr.

Vorromanisch

Zum Teil enthalten die Flurnamen der Alpen uralte Sprach­relikte, die bis in rätische Zeit zurück­reichen. Bei Alp bzw. Alm ist das wahr­scheinlich der Fall. Das Wort, das dem ganzen Gebirge seinen Namen gab, dürfte vor­romanischen Ursprungs sein und von der rätischen Bevölkerung stammen. Vermutlich bezeichnete es schon immer eine Hoch­weide. Die Römer lernten die Alm­wirt­schaft bei den Rätern kennen und über­nahmen dabei wohl auch einige Begriffe.
Ebenfalls als vorromanisch gelten Taja, Ups und Madron.

Lateinisch und romanisch

Die germanischen Siedler, die sich nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs im Alpenraum nieder­ließen, schnappten ihrerseits wiederum von den Restromanen viele Wörter auf. Das Bayerische bildet deshalb eine stark romanisch geprägte Sprache.
Etablierte römische Ortsnamen überdauerten in der Regel die Völker­wanderung und blieben bis heute erhalten. So etwa Parten­kirchen, das bei den Römern Partanum hieß. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass die Römer bereits auf einen älteren lokalen Namen der heutigen Partnach zurück­gegriffen hatten.
Zum romanischen Namensgut zählen unter anderem auch der Kramer und die Vereiner Alm.

Germanisch und Deutsch

Die allermeisten alpinen Flurnamen in Bayern und Tirol kommen aus dem Alt- bis Neu­hoch­deutschen oder sind lokalen Dialekten entlehnt. Mit dem Verschwinden der bairischen Dialekte und insbesondere ihrer regionalen Ausprägungen wird mancher Berg­name, der vor ein paar Jahr­zehnten noch allseits verstanden wurde, zum Fremd­wort. Die Bedeutung von Wamperter Schrofen dürfte wohl den meisten noch klar sein, aber bei Miesing oder Waxen­stein tun sich selbst Mund­art­sprecher bereits schwer. In wenigen Jahr­zehnten kann sie wahr­scheinlich nur noch ein Sprach­wissen­schaftler erklären.

Irreführende Volksetymologie

Mit einem Igel hat der Igelskopf im Mieminger Gebirge eigentlich nichts zu tun.

Wir neigen dazu, unverständliche oder von ihrer Herkunft her unklare Wörter mit klang­ähnlichen Wörtern in Verbindung zu bringen. Der Fach­begriff dafür lautet Volksetymologie.
Die Rechtschreibeform wurde heftig dafür kritisiert, dass sie sich zum Teil an der Volks­etymologie orientierte. So wurde etwa belemmert in belämmert geändert. Sprach­geschicht­lich hat das Adjektiv nichts mit den Lämmern zu tun, wird aber in der Sprach­praxis so verstanden. Bekannte Beispiele für die Volks­etymologie sind außerdem die Armbrust, welche sich vom lateinischen arcuballista ableitet oder die Hängematte, die auf das haitianische hamaca zurückgeht. Obwohl beide Wörter deutsch klingen, sind sie es nicht.Bei Flurnamen sind volksetymologische Umformungen besonders häufig. Nahe­liegende Erklärungen sollte man daher immer kritisch hinterfragen.Ein bekannter Fall für das Problem der Volks­etymologie ist die Mond­schein­spitze im Karwendel. Die alternative Schreibweise Mont­schein kommt dem Ursprung näher, wird aber seltener verwendet. Möglicher­weise steckt hinter Montschein eine Verkleinerungs­form des lateinischen mons für Berg. Romanische Namen sind im Karwendel ohnehin recht verbreitet.

Im Mieminger Gebirge nahe Ehrwald liegen der Igelsee und der Igels­kopf. Hierbei handelt es sich zweifellos um eine volks­etymologische Umdeutung. Verschiede ältere Schreib­weisen wie Sigl, Negel und Egel sind über­liefert, lassen sich jedoch nur schwer deuten. Sicher ist nur, dass der Berg nichts mit dem stacheligen Tier zu tun hat. Doch trotz dieser Erkenntnis fällt es sichtlich schwer, bei der Nennung des Namens nicht an einen Igel zu denken, zumal die Form des Bergs entfernt daran erinnert.

Es könnten noch viele Beispiel genannt werden, etwa der See­berg bei Bayrisch­zell, bei dem es gar keinen See gibt. Sein älterer Name lautet Sölberg. Oder man denke an die Fahrmanns­laine im Estergebirge, die aus Fermeslain entstand.

Probleme mit dem Genus

Holzriesen in den Alpen aus Beyträge zur näheren Kenntniss des Schweizerlandes von Hs. Rudolf Schinz, Zürich 1786. Datenquelle: Forstmuseum Ballenberg

In Bergnamen kommen recht viele nicht mehr geläufige Wörter vor, so dass das richtige Genus öfters unklar ist. Im Zweifels­fall wird im allgemeinen Sprach­gebrauch die maskuline Form bevor­zugt. Manch­mal stimmt das zufälliger­weise, wie beim Tauern, dem Palfen oder dem Riedel. Doch es gibt auch andere Fälle.

Die feminine Hochries in den Chiemgauer Alpen etwa wird immer wieder im falschen Genus verwendet. Der Name kommt von der so genannten Holzriese, einer künstlichen Rutsche für den Transport gefällter Baum­stämmen. Diese Technik der Holz­bringung war im Gebirge sehr verbreitet und schlug sich noch in weiteren Berg­namen wie dem Riesen­kopf bei Flints­bach am Inn nieder. Mit der Größe des Bergs haben die Riesen­namen jeden­falls nichts zu tun.

Im Wendelsteingebiet liegt mit der Farrenpoint ein Berg, welcher eben­falls häufig fälsch­licher­weise in der maskulinen Form geschrieben wird. Dabei ist die Point ein durchaus gängiger Flur­name, welcher ein eingezäuntes, dem allgemeinen Vieh­trieb entzogenes Privat­grund­stück bezeichnet.

Eines der häufigsten Bergappellative ist die Spitze. Die ursprüng­liche mund­artliche Form Spitz [ʃpiːz] ist maskulin. Es heißt also der Brecher­spitz (Schliersee), der Frieder­spitz (Werdenfels) und der Halser­spitz (Blauberge).
Einige touristisch interessante Berge wurden an die Schrift­sprache angepasst. So heißt es heute die Zugspitze statt der Zugspitz. Vergessen hat man dabei aller­dings, dass dann das Zug­spitz­platt eigentlich Zug­spitzen­platt heißen müsste. Ob es wohl jemandem auffällt, dass die maskuline Form im Zug­spitz­platt nicht zur femininen Zugspitze passt? Apropos, wenn wir schon bei der Zugspitze sind, mit dem Bestimmungs­wort Zug war eher keine Lawinen­bahn, sondern eine Zuggasse zum Holzziehen gemeint.

Flurnamen wandern bergauf

Um einen Alm- oder Bergnamen zu deuten, kann es helfen, seinen geogra­fischen Ursprung zu lokalisieren. Weil Flurnamen tendenziell eher bergauf als bergab wandern, sollte die Suche zunächst im Tal beginnen. Manchmal ziehen sich Namen von dort über mehrere Stufen den Berg hinauf.
So beispielsweise die Raut am Westufer des Kochelsees. Der Name kommt von reuten, einem alten Wort für roden. Die Rodungs­fläche wird als Grünland genutzt. Südwestlich der Raut befindet sich das Rauteck. Weil das Rauteck stets bewaldet war, muss der Name aus dem Tal stammen. Ein Stück ober­halb des Rautecks steht die Raut­eck­alm. Diese wiederum wird überragt vom Rauteckkopf.
Selbstverständlich stellt sich die Sache nicht immer so einfach dar. Doch es lohnt sich, bei der Recherche auf jeden Fall im näheren Umkreis und insbesondere im Tal zu suchen. Interessant ist in diesem Zusammen­hang, welcher Berg zu welchem Talort gehört und wie die alten Vieh­triebe verliefen.
So hat der Buchstein in den Tegernseer Bergen seinen Namen von dem einige Kilometer entfernten Bad Wiesseer Ortsteil Buch, weil die Bauern von dort ihr Vieh auf die Bucheralm trieben.

Bergnamen nach der Nutzung

Beim Schinder könnten seine steilen Hänge namensgebend gewesen sein.

Die Namen von Bergen, Almen und Wäldern spiegeln neben den Besitz­verhältnissen, der Witterung, der Flora und der Fauna auch ihre Nutzung wider. Manche Berg­flanken sind aber viel zu zerklüftet und felsig, als dass sie eine wirt­schaft­liche Bedeutung gehabt hätten. So tauften die Bewohner von Achen­kirch beim Achensee die nutzlose Berg­gruppe im Osten des Orts auf Unnutze (Unnütze).
Nicht weit von Achenkirch entfernt liegt zwischen Bayern und Tirol der Schinder in den Tegernseer Bergen. Von der Tiroler Seite heißt er Trausnitz­berg und wirkt eher unscheinbar. Richtung Bayern bricht er mit markanten Fels­wänden ab, an die sich steile Schutt­reisen anschließen. Diese abweisenden Hänge werden mit dem Wort Schinder treffend charakterisiert.

Zahlreiche Berge und Almen tragen das Bestimmungs­wort wild im Namen. So etwa die Bayerische Wildalm in den Blauberge, das Wild­alp­joch beim Wendel­stein oder der Wild­barren bei Oberau­dorf. Man darf das aber nicht im touristischen Sinne als wild­romantisch verstehen. Wild meint hier ein raues, schlecht bis gar nicht alm­wirt­schaftlich nutzbares Gebiet.Umgekehrt werden Berge als schön bezeichnet, wenn sie über flache Hänge und fruchtbare Weiden verfügen.Heute denken wir bei einem schönen Berg an das Gipfel­panorama und den Wander­genuss. Früher stand dagegen die Qualität der Weide­flächen im Vorder­grund. Namen wie die Schön­leiten am Tegel­berg, der Schön­berg im Isar­winkel oder das Schön­feld im Spitzing­gebiet können so interpretiert werden.

Selbstverständlich wurden Berge nicht nur als Hochweide genutzt. Ob Berg­bau, Holz­wirt­schaft oder Jagd, alle mensch­lichen Aktivitäten im Gebirge hinter­ließen ihre Spuren in den Flur­namen. Entscheidend ist deshalb zu verstehen, welche praktische Bedeutung die Menschen früher mit einem bestimmten Berg verbanden.

Weiterführende Informationen

Alte Schreibweisen in historischen Land­karten wie den Bayerischen Land­tafeln von Philipp Apian können wertvolle Hinweise zum Verständnis von Flurnamen liefern. Datenquelle: Wikimedia Commons

Die Recherche zu Flurnamen gestaltet sich generell sehr müh­sam. Wenn zu einem Namen überhaupt Deutungs­vor­schläge existieren, sind diese oft nicht ausreichend wissen­schaftlich fundiert. Manch­mal gibt es auch wider­sprüch­liche oder alternative Interpretationen.Letztlich liegt es in der Natur der Sache, dass es nicht immer eine eindeutige, zweifels­freie Antwort geben kann.In den Jahrbücher, Mitteilungen und Zeit­schriften des Deutschen Alpen­vereins insbesondere aus dem 19. Jahr­hundert werden viele alpine Flur­namen erklärt. Modernen Standards hält das meist populär­wissen­schaft­liche Niveau dieser Beiträge selten stand. Eine gewisse Grund­skepsis ist daher angebracht. Die Deutungen bieten zwar durchaus nützliche Anhalts­punkte, werden aber bis heute oft zu unreflektiert rezitiert. In einer Alpen­vereins­zeitschrift aus dem Jahr 1877 wurde zum Beispiel die These vertreten, der Geigel­stein im Chiemgau wäre von dem Bergschaf Gigal abzuleiten. Diese These hält sich hart­näckig, obwohl Schreib­varianten wie Geyer­stein und Geiger­stein dagegen sprechen.
Ältere Literatur kann trotzdem nützliche Informationen enthalten, gerade wenn es um Begriffe aus der Alm­wirtschaft, dem Bergbau usw. geht, die inzwischen in Vergessenheit gerieten.

  • Mit zu den wichtigsten Quellen bei der Erforschung von Flur­namen gehören historische Land­karten. Man findet sie unter anderem im BayernAtlas, im Bavarikon und in den historischen Karten­werken Tirols.
  • Die Beschäftigung mit Flurnamen erfordert außerdem Kennt­nisse in den jeweiligen Dialekten. Ein unverzicht­bares Standard­werk für den bairischen Sprachraum, zu dem ja auch Tirol gehört, bildet bis heute das Bayerische Wörter­buch von Johann Andreas Schmeller. Zu dieser und weiterer Literatur siehe die Liste am Ende des Artikels.
  • Ebenfalls zur Grundaus­stattung gehören die Schriften von Karl Finsterwalder, zusammen­gefasst in der mehr­bändigen Tiroler Orts­namenkunde.
  • Einige Flurnamenforscher wie Heinz-Dieter Pohl, Wolf-Armin von Reitzenstein oder Thaddäus Steiner beschäftigen sich speziell mit Alm- und Bergnamen. Ihre Publikationen entsprechen dem aktuellen Stand der Wissenschaft.
  • Ich selbst veröffentliche regel­mäßig die Ergebnisse meiner eigenen Recherche. Diese Arbeit sollte jedoch lediglich als momentaner Zwischen­stand betrachtet werden. Sie unter­liegt einer ständigen Korrektur und Ergänzung.